Die Doppelmoral der KI-Nutzung in der Schule

OpenAI beschreibt drei Weisen, mit KI zu interagieren: Fragen stellen, Aufgaben delegieren, sich beim Ausdruck unterstützen lassen. Besonders brisant für den schulischen Kontext ist dabei das Delegieren – also das Erzeugenlassen von Inhalten durch KI. Genau hier zeigt sich ein bemerkenswerter Widerspruch.

Immer häufiger nutzen Lehrkräfte KI, um Unterrichtsmaterialien zu erstellen: Arbeitsblätter, Aufgabenstellungen, Texte. Die Motivation ist nachvollziehbar – Zeit sparen, Entlastung finden, Routinearbeit abgeben. Doch sobald Schüler:innen dieselbe Technologie einsetzen, um Texte zu verfassen oder Lösungen vorzubereiten, wird dies als Abkürzung oder gar Betrug bewertet. Faktisch entsteht eine doppelte Botschaft: KI ist akzeptabel als Grundlage des Lernens, aber nicht als Ausdruck desselben. Wenn aber KI-Erzeugnisse angeblich den Denkprozess umgehen – warum dürfen sie dann als Lerninput dienen?

Der Kern dieses Widerspruchs liegt weniger in Heuchelei als in unserem tief verwurzelten Verständnis von Bildung. Schule belohnt bis heute vor allem Produkte: der fertige Aufsatz, die richtige Lösung, das abgegebene Dokument. Der Weg dorthin bleibt unsichtbar – und damit unbeachtet. Solange der sichtbare Output das Maß aller Dinge ist, bleibt die Angst bestehen, dass Maschinen diese Produkte ersetzen und damit das Lernen entwerten.

Vielleicht ist genau jetzt der Moment, umzudenken – weg vom fertigen Ergebnis, hin zum sichtbaren Denkprozess. Denn dort, in der Entwicklung einer Idee, im Ringen um Argumente, in der Auseinandersetzung mit Gegenpositionen, liegt menschliche Leistung, die keine KI simulieren kann.

Lernen ließe sich auf neue Weise prüfen: etwa durch Situationen, in denen Schüler:innen ihre Positionen live vertreten und auf Einwände reagieren müssen. Nicht der geschriebene Text wäre entscheidend, sondern die Fähigkeit, eigene Gedanken spontan zu verteidigen. Auch persönliche Denktagebücher könnten Einblick geben – nicht in fertige Antworten, sondern in die Wege, Irrtümer und Wendepunkte des Verstehens. In kollaborativen Projekten könnte KI ausdrücklich eingesetzt werden, aber als Werkzeug, das kritisch hinterfragt und weitergedacht wird. Bewertet würde dann, wie reflektiert mit der Maschine interagiert wird – nicht, ob man sie benutzt hat.

Statt finaler Abgaben ließen sich Entwicklungsstufen betrachten: erste Entwürfe, Überarbeitungen, Reflexionen. Die Qualität des Fortschritts würde ins Zentrum rücken – nicht die Perfektion des Enddokuments.

Gerade daraus könnte eine neue Form der Kompetenz entstehen: nicht KI zu vermeiden, sondern sie zu verwenden. Wer lernt, gute Fragen zu stellen, Ergebnisse der Maschine zu prüfen und sie als Sparringspartner fürs Denken zu nutzen, erwirbt Fähigkeiten, die weit über das Produzieren von Texten hinausgehen. Es wäre der Schritt von „KI ersetzt Denken“ hin zu „KI fordert Denken heraus“.

Vielleicht führt uns die KI-Frage gar nicht zu einem Kontrollproblem, sondern zu einer Bildungsreform. Nicht mehr zählen, was Maschinen nachahmen können, sondern was Menschen einzigartig macht: Urteilsvermögen, Einsicht, argumentative Stärke. Ein Bündnis zwischen Lehrkraft, Lernenden und KI – nicht um den Unterricht zu automatisieren, sondern um das zu fördern, was Maschinen niemals können: Denken!

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